Inzwischen ist es zu einem Trend geworden. Aber 2018, als ich mit dem Eisschwimmen begann, waren es nur wenige, die bei Wassertemperaturen unter fünf Grad im Meer oder in einem See schwammen. Die sich, manchmal bei Schneefall, am Ufer bis auf den Schwimmanzug oder die Badehose auszogen, während Spaziergänger in Daunenjacken und Winterstiefeln stehenblieben, um kopfschüttelnd zuzusehen. Die meisten von ihnen redeten sofort über Geld: „Nicht für eine Million würde ich…“
Das ist leicht zu verstehen. Denn in Wasser kühlt der Körper 25-mal schneller aus als in der Luft. Selbst in 27 Grad warmem Wasser ist der Wärmeverlust so hoch wie in sechs Grad kalter Luft – ohne Daunenjacke, versteht sich. In zehn Grad kaltem Wasser können sich die meisten Menschen nur zehn Minuten lang bewegen. Danach überleben sie noch einige Zeit, aber handlungsfähig sind sie nicht mehr.
Und genau darin liegt ein Reiz des Eisschwimmens: Mit einer gefährlichen Situation – denn der Körper schaltet nicht grundlos in den Überlebensmodus – so umzugehen, dass es ein Erlebnis der eigenen Stärke wird. Die Kraft der eigenen Gedanken schafft es, die Panik des Körpers zu moderieren: „Dir wird nichts passieren. Atme völlig ruhig. Entspann dich. Und jetzt schwimm einfach los!“
Ein zweiter Grund für die Faszination ist, dass beim ersten Kontakt mit dem eiskalten Wasser alles von dir abfällt. Alles. Wie ich in meinem Roman schreibe, ist kein Platz für andere Gedanken. Du bist völlig bei dir, deinem Körper und bei dem Wasser, das den Körper herausfordert. Mit einer Ausnahme.
Ich meine das Wahrnehmen der Natur, nachdem die anfängliche Panik bewältigt ist. In den fünf oder zehn oder vielleicht auch 20 Minuten des Schwimmens sind die Sinne so geschärft, dass man die Natur so intensiv wie nie zuvor registriert. Den Geruch und die Härte des Wassers, die kleinen Gänsefedern, die auf dem Wasser schwimmen, das Geräusch des Windes in den Bäumen.
Wer den richtigen Tag im Winter erwischt und an diesem Tag die richtige Zeit, der kann durch eine hauchdünne Eisschicht schwimmen, die sich gerade erst gebildet hat. Es erinnert an die empfindliche Kruste einer Crème brûlée.
Etwas Schöneres habe ich nie wieder erlebt.